Nachhaltige Baufinanzierung (1):
Was bedeutet die Zinswende für Wohnprojekte?

Nach einer langen Niedrigzinsphase deutet sich seit Anfang 2022 die Zinswende an. Aufgrund der rapide ansteigenden Inflationsraten sind die Zentralbanken dazu gezwungen, mit einem steigenden Leitzins der Verteuerung entgegenzuwirken. Da der Leitzins direkt die Konditionen der Banken beeinflusst, werden sich alle Sparer, Schuldner und zukünftigen Bauherren auf die neue Situation einstellen müssen.

Wirkungskette Zinswende:
Höhere Leitzinsen durch die EZB > Banken erhöhen Guthaben- und Kreditzinsen > Preise für Immobilien und Wertpapiere fallen.
Nachdem die ersten Schritte der Zinswende von der Europäischen Zentralbank (EZB) angekündigt wurden, haben große Immobilienkonzerne bereits geplante Projekte verschoben oder aufgekündigt. Denn die steigenden Zinsen bedrohen die Rentabilität von Immobilien massiv. Wenn sich aber bereits Immobilienprofis von der aktuellen Situation bedroht fühlen, wie kann dann überhaupt noch eine realistische Baufinanzierung nachhaltiger Wohnprojekte aussehen? Diese Frage wollen wir an zwei verschiedenen Szenarien erörtern:

Szenario #1: Minihäuser ohne Fremdkapital

Besonders die jungen Menschen der FIRE-Bewegung leiden unter den steigenden Zinsen. Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt, als könnten sich diese „Viel-Sparer“ künftig über höhere Zinserträge freuen und so schneller ihre Wohnträume erfüllen, ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. Da diese Menschen ihr zurückgelegtes Geld primär in Aktien und andere Wertpapiere angelegt haben, die in den letzten Wochen und Monaten extrem an Wert verloren haben, hat sich deren Eigenkapital um ca. 10 bis 20 % verringert. Auf der anderen Seite sind auch die Immobilienpreise leicht gefallen, aber der Immobilienmarkt wird wohl etwas langsamer und weniger stark sinken als die Aktienmärkte. Somit rückt der Traum der kleinen Immobilie nur aus Eigenkapital in die Ferne.

Szenario #2: Cohousing mit wenig (oder ganz ohne) Eigenkapital

Immer mehr alternative Wohnprojekte in Deutschland wurden ohne viel (oder ganz ohne) Eigenkapital realisiert. Viele solcher Projekte werden von Organisationen wie der Stiftung Trias unterstützt oder nach dem Modell des Mietshäuser-Syndikats konzipiert. Welche Rechtsform die passende ist, hängt maßgeblich von den Vorstellungen und Bedürfnissen der Projektgruppe ab. Hierzu ein sehenswerter Vortrag von Rolf Novy-Huy, Vorstandsmitglied der Stiftung Trias:


Befindet sich so ein Wohnprojekt in der Planungsphase, sehen sich die Teilnehmer einerseits mit steigenden Finanzierungskosten, andererseits aber auch mit fallenden Immobilienpreisen konfrontiert. Ob sich die Kosten der gesamten Finanzierung erhöhen, hängt dann davon ab, welcher Effekt überwiegt:

Hat sich die Projektgruppe noch an keinem Objekt „festgebissen“, kann auf günstige Angebote gewartet werden, deren niedrigerer Kaufpreis die steigenden Zinsen ausgleichen. Steht das Objekt jedoch fest oder ist der Baugrund gefunden und der Erbpachtvertrag mit einer Stiftung geschlossen, muss jetzt besonders akribisch gerechnet und überlegt werden, ob sich das Projekt rechnet – denn, neben den Zinsen steigen auch Baustoffpreise und Löhne.

Ebenfalls besonders heikel ist die Zinswende für Projekte, die sich bereits seit Längerem in der Finanzierungsphase befinden und deren Zinsbindung in den kommenden Jahren ausläuft. Immerhin ist das Ziel nachhaltiger Wohnprojekte, dass die Mieten nicht oder nur marginal ansteigen. Muss die Immobilie nun zu den gestiegenen Zinsen refinanziert werden, wird die ursprüngliche Kalkulation gesprengt. Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass einzelne Teilnehmer ausziehen müssen – oder dass das ganze Projekt insolvenzgefährdet ist.

Nachhaltige Baufinanzierung für nachhaltige Wohnprojekte

Dass die Zinsen in der Zukunft steigen, war abzusehen, dennoch kam der Zeitpunkt für viele überraschend. Auch wenn die EZB beginnt, den Zins schrittweise zu erhöhen, können die Folgen für das zweite Szenario trotzdem abgemildert werden. Der wichtigste Tipp hierbei: Tilge so viel wie möglich, so früh wie möglich! Diese Bankversion von „Was du heute kannst besorgen …“ führt dazu, dass sich Veränderungen der wirtschaftlichen Lage auf einen möglichst geringen Schuldenberg auswirken.

Bei der Fremdkapitalfinanzierung stellt eine Reduktion des Darlehnbetrags durch Einbringen von Eigenkapital natürlich die beste Strategie dar, das Zinsrisiko zu minimieren. Eine möglichst lange Zinsbindung, sorgt ebenfalls dafür, die Schulden möglichst lange zu unveränderten Bedingungen abzutragen. Mit einem Forwarddarlehen, lässt sich ein niedriger Zinssatz bereits mehrere Jahre vor Ablauf der bestehenden Zinsbindung sichern, bevor es zu einer Umschuldung kommt. Und die ganz Vorausschauenden integrieren einen Bausparvertrag in ihre Baufinanzierung, denn hierbei gilt der Zinssatz für die ganze Laufzeit, unabhängig davon wie sich die Zinsen verändern. Nur wenn nachhaltige Wohnkonzepte auch nachhaltig finanziert werden, stellen sie eine gute Alternative zum „Single-Bauen und -Wohnen“ dar.

Bildquelle: AaronAmat / iStock.com.

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