Nachtarock:
Die Tinys vom Bauhaus Campus Berlin

Vom 10. März vergangenen bis 09. März diesen Jahres fanden unter dem Namen „Bauhaus Campus Berlin“ auf dem Gelände des Bauhaus-Archivs in Berlin Bau und Austellung unterschiedlicher Tiny Houses statt. Initiator, des als Experiment angelegten Projektes, war der Architekt Van Bo Le-Mentzel, bekannt durch seine „Hartz-IV-Möbel“-Kollektion. Mittlerweile entwickelt Le-Mentzel Konzepte für Kleinstwohnungen, durch die auch Geringverdiener in Innenstädten leben können sollen – sozusagen als Antwort auf die Gentrifizierung ganzer Stadtteile in einigen deutschen Großstädten.

Gemäß dem Motto „Study. Build. Research.“ experimentierten und forschten auf dem (temporären) „Bauhaus Campus Berlin“ Akteure aus den Bereichen Design, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und der Startup-Szene. In (selbstgebauten) Tiny Houses – jedes einem anderen Thema gewidmet – wurden so unterschiedlichen Forschungsfeldern nachgegangen wie „Mindestwohnung“, „Dritte Orte“, „Wohnen auf Dächern und Getreidesilos“, „Coworking für Geflüchtete“, „Autarkie“, „Terra Preta“, „Kryptowährung“, „Foodsharing“, „Offene Werkstätten“ u.a.m. Hier ein paar ausgewählte Tiny Houses, die einige der erwähnten Forschungsprojekte beherbergten:

100-EURO-WOHNUNG – Design: Tinyhouse University


Entworfen wurde das „100-Euro-Wohnung“-Tiny-House vom Berliner Kollektiv „Tinyhouse University“ (TinyU) unter der Leitung von Van Bo Le-Mentzel, gebaut wurde das Schmuckstück mit den hohen Fenstern im Altbau-Look vom Team der Tischlerei Bock. Die 100-Euro-Wohnung – in diesem Fall also auf einem Trailer aufgebaut – dient als Forschungsobjekt dafür, inwieweit sich Wohnfläche ohne Einbußen an Lebensqualität für die Bewohner reduzieren lässt. Die Wohnfläche misst hierbei 2,00 m x 3,20 m. Durch eine Deckenhöhe von 3,60 m, wie sie auch für viele städtische Altbauten typisch ist, konnte sowohl der Schlafplatz, als auch der Arbeitsplatz auf eine erhöhte Ebene verlagert werden. Auf der unteren Ebene befindet sich der Wohnraum mit Kochnische und Nasszelle. Aufgrund ihrer geringen Größe könnte laut Le-Mentzel der Mietpreis für eine derartige Wohnung bei 100 Euro pro Monat festgesetzt werden. Die 100-Euro-Wohnung soll somit auch als Beitrag zur Diskussion über bezahlbaren Wohnraum verstanden werden. Le-Mentzels Vision ist die eines „Co-Being Houses“, eines Mehrgenerationenhauses, das sich aus mehreren solcher Wohneinheiten zusammensetzt.

PROJEKTCAFÉ GRUNDEINKOMMEN – Design: Berlin Basic Income Lab


Direkt neben der „100-Euro-Wohnung“ wurde sinnigerweise das im ähnlichen Look entworfene „Projektcafé Grundeinkommen“ (PCG). Wie der Name schon verrät, wurde hier u.a. mittels eines sozioökonomischen Experimentes mit dem Titel »Circles« zum Bedingungslosen Grundeinkommen geforscht: Ein Grundeinkommen simulierend, erhielten die Teilnehmenden monatlich eine zuvor definierte Summe an Circles. Erprobt wurden parallel „Kreise (engl. Circles) des Vertrauens“ im Campus, ähnlich eines Tauschrings.

TINY HOUSE SUMMER SCHOOL – Design: Tinyhouse University


Ein weiteres von der TinyU entworfene Tiny House beherbergte die Tiny House Summer School (THSS). In wöchentlichen Treffs und Seminaren wurde hier vermittelt, wie man Tiny Houses entwirft. Außerdem diente das mobile Häuschen für den Aufbau der „umfassendste Büchersammlung über Mikro-Architektur“, die öffentlich einsehbar ist. Auf 10 Quadratmetern wurde eine Mini-Bibliothek, eine Küche, Diele und WC sowie unter dem Dach ein „Gästezimmer“ untergebracht. Ein nettes Feature stellt die Dachterrasse dar.

AVOID – Design: Leonardo di Chiara


Ebenfalls mit einer Dachterrasse ausgestattet, ist das aVOID, das seine italienischen Wurzeln nicht verleugnen kann: Dieses Tiny House zeichnet sich durch einen cleanen, eleganten Look aus, bei dem weiße Oberflächen mit edelen Hölzern kombiniert wurden. Der italienische Architekt Leonardo di Chiara treibt bei diesem Entwurf den Purismus auf die Spitze: Im Ausgangszustand zeigt sich der Wohnraum als nackter Flur zwischen zwei planen weißen Flächen. Hinter diesen Flächen verbergen sich, jeden Zentimeter dieses Mikroappartements nutzend, raffinierte Einbauten.
Di Chiara taufte seine Entwicklung sinnigerweise aVOID, da „void“ im Englischen soviel wie „leer“ bedeutet und „to avoid“ soviel wie vermeiden. Letzteres bezieht sich, nach Aussage von Leonardo di Chiara auf die Vermeidung von Isolierungsverhalten, denn das Wohnen in solch einem Tiny House macht gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen – wie Cafés, öffentliche Bäder, Waschküchen und Trockenräume, Bibliotheken u.a.m. – notwendig. Für alle, die mehr visuelle Eindrücke vom aVOID Tiny House wünschen und es „in motion“ sehen möchten, hier die knapp halbstündige Video-Dokumentation von Kirsten Dirksen, in der Leonardo di Chiara sein Haus vorgestellt:

TINY TOWNHOUSE (TITO) – Design: Tinyhouse University

    

Ein Tiny House, das (auch) als Reihenhaus in Städten genutzt werden kann. Entworfen wurde es wiederum vom Team der Tinyhouse University unter Leitung von Van Bo Le-Mentzel, gebaut wurde es von einer Gruppe von Laien, was laut diesem Beitrag im Magazin von Houzz.de beim Innenausbau einige Kaschierungen und Nachbesserungen nötig machte. Die von der Eigentümerin, Kabarettistin Luise Loué, beauftragte Interior-Designerin Anne Schütz hat aus der Not eine Tugend gemacht und z.B. die unschönen Fugen in der Beplankung der Innenwände mit Latten verkleidet und so den Look der typischen, kassettenartigen Vertäfelung bayerischer Bauernstuben und Wirtshäuser erzielt.
Die Eigentümerin stellte beim Ausbau keine Ansprüche bzgl. Multifunktionalität, auch praktisch musste es nicht sein – herausgekommen ist dadurch eher ein Gartenstudio als ein Wohnhäuschen. Das Haus zeichnet sich – anders als das aVOID – also nicht durch Raffinesse, sondern eher durch Schlichtheit aus. Dies hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich die Eigentümerin noch nicht entschieden hat, ob sie darin ihr „Museum der Liebesobjekte“ unterbringen, Kabarettprogramme aufführen oder das Tiny House als temporäre Unterkunft für andere Künstler zur Verfügung stellen wird. Im letzteren Fall würden ihre Gäste eine alltagstauglichere Einrichtung mit Stauraum schaffenden Einbauten, einem praktischen Schlafsofa als Alternative (oder Ergänzung) zu dem nur über eine Hühnerleiter erreichbaren Schlafplatz unter dem Dach und ingesamt eine gemütlichere Atmosphäre sicher begrüßen.

RETREAT – Design: Respace


Der „Retreat“ ist ein auf einer Wechselbrücke aufgebautes Tiny House. Vielerorts sieht man am Straßenrand von einer Spedition geparkte Seecontainer auf vier Stützen stehen. Statt eines Stahlcontainers trägt der Unterbau hier jedoch ein Wohnmodul in Holzständerbauweise. Ausgestattet ist der Retreat mit Kichenette, Schlafplatz sowie Badezimmer mit Dusche und WC. Der Retreat dient als Forschungsprojekt für Städdteplaner und Architekten um das Potenzial solcher Wohnmodule für den temporären Siedlungsbau (für Studenten und Asylbewerber) zu evaluieren.

HOUSE OF TINY SYSTEMS (RETINY) – Design: Respace


Ebenfalls aus der Schmiede von Respace stammt das „RETINY“. Hier wurden Systeme verbaut und getestet, die es ermöglichen Regenwasser in den Wasserkreislauf des Hauses einzuleiten sowie Brauchwasser zu recyclen. Das RETINY ist genauso wie das RESPACE auf einer Wechselbrücke aufgebaut – im Bild mit untergefahrenem Trailer

HOLY FOODS HOUSE – Design: Holy Foods House


Das Holy Foods House war das Foodsharing–Experiment auf dem Campus: An der Außenwand des Hauses war ein Schrank mit integriertem Kühlfach eingebaut, in dem die Community-Mitglieder überschüssige Lebensmittel einlagern und wer Bedarf hatte, sich daran bedienen konnte. Das „Holy Food House“ diente auch als Ort für Veranstaltungen, die zur Förderung eines besseren Bewusstseins für die Verschwendung (vor allem nicht mehr ganz so ansehlichen) Lebensmitteln.
Die Außenhülle des Hauses ähnelt durch zwei Alkoven einem T.  Innen bietet es zwei Schlafplätze, eine Küchenzeile, einen Essplatz und eine Nasszelle mit Terra-Preta–Toilette.

NEW WORK STUDIO – Design: Tinyhouse University


Das „New Work Studio“ ist als mobiler Think Tank konzipiert. Im Rahmen des „Bauhaus Campus Berlin“ waren Querdenker aus Wirtschaft, Kunst und Forschung eingeladen, darin über »Neues Arbeiten« zu forschen. Neben der Frage „Wie kann die bevorstehende Neuordnung der Arbeitswelt aussehen und welche Rolle spielen darin Diversität, Autonomie, Kooperation, Demokratie und Gemeinschaftssinn?“ ging es um die Vision »Dritte Orte« in der Stadt zu schaffen: Neben dem ersten Ort, dem Zuhause, und dem zweiten Ort, dem Büro, sollte es nach Ansicht der Initiatoren dritte Orte Geben, nämlich Orte des lustvollen Co-Working.

35KUBIKHEIMAT – Design: Hochschule Rosenheim, Fakultät für Innenarchitektur, Prof. Denise Dih


Das studentische Projekt „35Kubik-Heimat“ ging der Frage nach wieviel Raum ein Zuhause braucht und welche Innenausstattung es zu einem solchen macht. Die Studierenden der Fachhochschule Rosenheim entschieden sich für einen ähnlich radikalen Ansatz wie Leonardo di Chiara: Auf den 9 Quadratmetern Wohnfläche stand kein einziges Möbelstück. Tisch, Sitzbank und Bett können stattdessen aus dem Boden gefaltet werden. Durch den Einbau eines Hohlraumboden und einer Schrankwand enthalten die Flächen das Mobiliar …

Bildquellen: bauhauscampus.org (Bild 1-3, 7-11), Leonardo di Chiara (Bild 4), Anne Schütz von AnneLiWest (Bild 5+6).

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